Diversitätssensibel Unterrichten dank Audience-Response-Tools

von Julika Moos

Ich war 26 Jahre alt, als ich zum ersten Mal als Dozentin vor einer Seminargruppe stand – 38 Studierende im Erstsemester, kaum jünger als ich. Ich war schrecklich verunsichert und gestaltete die Vermittlung so, wie ich dachte, wie Hochschullehre sein müsste.

Erst Jahre später fiel mir auf, dass in meinen ersten Seminaren zwei Prinzipien dominierten: Angst – „wenn Sie das in der Klausur nicht können, fallen Sie durch“ – und ein falsches Verständnis von Fachkompetenz. Ich dachte, ich müsste auf jede Frage eine souveräne Antwort liefern können. Damit setzte ich sowohl meine Studierenden als auch mich selbst unter großen Druck. Der absurde Anspruch, alles wissen zu müssen, und keine Schwächen zuzugeben, war für uns alle gleichermaßen ungesund.

Nach nun fast 10 Jahren in der Hochschullehre habe ich die Angst, etwas falsch zu machen, und das engstirnige Verständnis von Fachkompetenz, immer alles beantworten zu müssen, aus meinem Kopf verbannt. Stattdessen versuche ich meine Lehre nach zwei anderen Leitlinien zu organisieren: Begeisterung und Empathie.

Zwar führt Angst – z.B. die davor, durch die Klausur zu fallen – durchaus dazu, dass Studierende den Stoff büffeln. Aber dass sie sich auch nach der Klausur noch an die gelernten Inhalte erinnern können, ist höchst unwahrscheinlich. Begeisterung für die Gegenstände des Fachs hingegen ist motivierend und ansteckend. Zwar lassen sich auch mit Begeisterung nicht alle Studierenden mitreißen, aber die Wissensvermittlung funktioniert meiner Erfahrung nachhaltiger und umfassender.

Fachliche Begeisterung in der Lehre zu vermitteln, fällt den meisten Dozierenden, die ja aufgrund ihres Interesses am Fach an der Universität arbeiten, wahrscheinlich nicht schwer. Empathie aufzubringen, ist allerdings nicht immer ganz so einfach, weil sie z.B. auch beinhaltet, Verständnis dafür aufzubringen, dass Studierende für das eigene Leib- und Magenthema keine Begeisterung finden können.

Dennoch habe ich die Erfahrung gemacht, dass Studierende auch fachlich aufgeschlossener sind, wenn sie sich menschlich gesehen fühlen. Wenn man ihnen mit Empathie vermittelt, dass sie mehr als nur eine beliebige Matrikelnummer sind, fühlen sich Studierende meiner Erfahrung nach sicherer. Ein Gefühl von Sicherheit im Seminarraum kann etwa dazu führen, dass sie sich an Seminardiskussionen zu beteiligen, auch wenn sie nicht ganz überzeugt sind, dass ihr Beitrag richtig ist.

Ein Weg Studierenden mit Empathie zu begegnen und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie gesehen werden, ist, sie in der ersten Sitzung zu fragen, wie sie angesprochen werden möchten.

Die Ansprache mit Herr/Frau + Nachnamen – wie sie an deutschen Universitäten lange üblich war – stammt aus einer Zeit, in der wir von Vornamen und Aussehen auf das Geschlecht der Personen geschlossen haben. Mitunter fühlen sich Studierende aber nicht in der binären Geschlechterordnung abgebildet. Um auch für Studierende, die etwa nichtbinär oder trans sind, eine sichere Atmosphäre zu schaffen, sollte eine Ansprache mit Herr/Frau + Nachname heutzutage nicht mehr als ungefragter Standard gelten.

Mit der zunehmenden Internationalisierung der Universitäten sind Rückschlüsse von Namen auf Geschlecht außerdem auch deshalb kaum noch zeitgemäß, weil Studierende nicht mehr nur gängige deutsche Vornamen haben. Vorannahmen über Namen aus nichtdeutschen Kulturkreisen können also im schlimmsten Fall rassistisch diskriminieren.

Um schon in der ersten Sitzung des Semesters empathisch auf die Studierenden zuzugehen, ist es eine gute Idee, gleich zu Beginn nach ihrer gewünschten Ansprache zu fragen. Dies lässt sich mit einem Audience-Response-Tool, das anonyme Umfragen ermöglicht, sehr leicht umsetzen, sodass sich niemand vor der ganzen Seminargruppen offenbaren muss.

In meinem letzten Seminar habe ich dazu das Umfragetool Vevox genutzt. In einer ersten Umfrage habe ich meine Studierenden über Vevox anonym gefragt, ob sie sich in einer binären Ansprache wiederfinden können.

14% der Teilnehmer*innen stimmten ab, dass diese Form der Ansprache für sie nicht funktioniert. Für diesen Fall hatte ich eine Anschluss-Umfrage vorbereitet, die andere Optionen der Ansprache im Seminar vorschlug und nach den entsprechenden Präferenzen der Studierenden fragte.

Darin wollte ich wissen, ob die Studierenden eher geduzt oder gesiezt werden möchten. Dabei zeigte sich, dass niemand im Kurs darauf bestand, gesiezt zu werden, deshalb entschieden wir uns gemeinsam dafür, uns im Seminar mit Du + Vorname anzusprechen.

Ich hoffe, ich konnte so dazu beitragen, dass sich alle in meinem Seminar wohlfühlten. Im Nachgang erhielt ich eine Email von einer Person aus dem Seminar, die mich in meinem Vorgehen bestärkte: „Danke für Deine Umfrage am Beginn der Veranstaltung, die zu einer für alle angenehmen Atmosphäre beigetragen hat.“

Tools, die anonyme Abstimmungen ermöglichen, können also nicht nur für reine Wissensabfragen genutzt werden können, sondern auch für sensible persönliche Nachfragen, die die Studierenden mit ihren individuellen Bedürfnissen ernst nimmt, ohne sie vor den Kommiliton*innen zu exponieren.

Auch wenn das Duzen im Seminarkontext für mich zunächst ungewohnt war, weil ich das Sie lange als unabdingbar erachtete, um eine gewisse Distanz zu den Studierenden aufrechtzuerhalten, tat es der Stimmung im Seminar meiner Wahrnehmung nach wirklich gut: Ich brauchte mich nicht mehr als distanzierte Dozentin zu inszenieren, sondern konnte den Studierenden empathisch auf Augenhöhe begegnen und damit Interesse und Wertschätzung ausdrücken.

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